Wake Up Before Dawn
Xuejing Wang +
Raphaël Fischer-Dieskau
Eröffnung: 25. April 2024, 19:00 Uhr
Dauer: 26. April — 19. Mai 2024
Öffnungszeiten: Freitag – Sonntag, 13:00 – 18:00
Tastende Lichter, vergängliches Material, poetische Technologie und Natürlichkeit als Konzept – auf der Suche der menschlichen Hybris in Zeiten einer verwundeten Welt.
„Kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten.“, schrieb einst die schwedische Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf. Ein Satz, der in den Sinn kommt, betritt man Xuejing Wangs und Raphaël Fischer-Dieskaus Ausstellung Wake up before dawn im SMAC. Bedächtig fühlt es sich hier an, eine Stimmung, die die Sinne schärft. Wie riecht es hier? Was können wir hören? Fühlen? Sehen?
Im unteren Ausstellungsraum treffen wir auf zwei löchrige Röhren aus losen Blättern. Das Licht in ihren Zentren fällt nach unten und wirft Schatten in den Raum. Die Lichter suchen und finden sich, ziehen sich zurück. Sie gleichen den Liebenden einer nostalgisch anmutenden Operette, scheuen Tieren, gefangen im Zwiespalt von Angst und Sehnsucht. Lost/Found – so der Titel der Arbeit – entstand kollaborativ zwischen Wang und Fischer-Dieskau und steht damit exemplarisch für den hier gezeigten ästhetischen Dialog.
Xuejing Wang (*1994, China) studierte von 2013–2018 Bildende Kunst an der Academy of Fine Arts in Beijing und seit 2020 Bildhauerei unter Prof. Karsten Konrad an der Universität der Künste Berlin. Mit großer Zärtlichkeit lässt sie organisches Material am Ende seines Lebenszyklus in ihre Werke einfließen, hebt auf, was als unerwünscht oder hässlich gelten könnte und erhöht es ins Besondere, spricht ihm neuen Wert zu. Ob verschimmelte Früchte, gebrochene Nüsse, abgefallene Blätter: Allem wird in aufwendiger Handarbeit zu neuem Leben verholfen, bekommt die Wunden geheilt. Stets schwelt im Hintergrund die stete Erinnerung der Vergänglichkeit, ihre bedrohliche Schönheit.
Durch Zusammenspiel von Mensch und Maschine, Technologie und Emotion zielen die Arbeiten Raphaël Fischer-Dieskaus (*1993, Deutschland) darauf ab, bei den Betrachtenden viszerale Reaktionen als multisensorische Erfahrungen hervorzurufen. Auch er ist wie Wang seit 2019 Teil der Klasse Karsten Konrad an der UdK, studierte davor Art Science an der Royal Acadamy of Arts in Den Haag sowie Violoncello an diversen Hochschulen in Berlin und Paris. Mittelpunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung sind die technologisierte Hybris des Menschen, das Schwinden der „Natürlichkeit“ und die gleichzeitige, drängende Sehnsucht nach einer heilen Natur.
Mit tastender Autorenschaft verhandeln die beiden jungen Künstler:innen, welche noch in diesem Jahr ihr Studium der Bildenden Kunst an der Universität der Künste Berlin beenden werden, die großen Fragen nach Vergänglichkeit und Bestand, Verletzung und Heilung, Mensch und Natur und unseren Platz in dieser Welt. Und immer, wenn man meinen möchte, es seien die großen Themen unserer Zeit, deren Saiten da angeschlagen werden, kommt einem Andreas Gryphius in den Sinn, der schon 1643 in seiner barocken Ode aller Oden schrieb:
Die Herrlikeit der Erden / Mus rauch undt aschen werden / Kein fels/ kein ärtz kan stehn. / Dis was vns kan ergetzen / Was wir für ewig schätzen / Wirdt als ein leichter traum vergehn.
Was sindt doch alle sachen / Die vns ein hertze machen / Als schlechte nichtikeit? / Waß ist der Menschen leben / Der immer vmb mus schweben / Als eine phantasie der zeit.*
Die menschliche Selbstüberschätzung – vielleicht ist sie gar kein neues Phänomen. Oh Vanitas! Vanitatum Vanitas!
* (Hochdeutsche Übersetzung: Eitelkeit! Eitelkeit der Eitelkeiten! // Die Herrlichkeit der Erden / muß Rauch und Asche werden, / kein Fels, kein Erz kann stehn. / Dies was uns kann ergötzen, / was wir für ewig schätzen, / wird als ein leichter Traum vergehn. / Was sind doch alle Sachen, / die uns ein Herze machen, / als schlechte Nichtigkeit? / Was ist der Menschen Leben, / der immer 'rum muß schweben, / als eine Phantasie der Zeit.)
Text: Hilka Dirks