Interview mit Xuejing Wang + Raphaël Fischer-Dieskau

Wake Up Before Dawn // 26. April – 19. Mai 2024

 
 
 

SMAC: Ihr studiert beide in der Klasse für Bildhauerei bei Karsten Konrad an der UdK Berlin. Habt ihr euch so kennengelernt?

Raphaël Fischer-Dieskau: Ja, wir haben großes Glück eine so gute Klasse zu haben, in der sich viele Freundschaften und Gemeinschaften bilden konnten und können, und wo bereits oft Kooperationen entstanden sind.

Xuejing Wang: Die Zusammenarbeit und der offene Austausch über unsere Arbeit schaffen eine fruchtbare Basis und gegenseitige Inspiration.

In der Ausstellung Wake Up Before Dawn, die wir nun im SMAC sehen können, treten eure Werke nicht nur in einen Dialog. Die Arbeit Lost/Found ist sogar gemeinschaftlich entstanden. Wie dürfen wir uns den Prozess vorstellen?

RFD: Es ist schwierig den Prozess zu beschreiben, da er sich oft in vielen kleinen unscheinbaren Momenten entschied. Selten haben wir dabei große, bewusste Schritte geplant. Es waren viele Gespräche, erste Versuche, kleine Modelle, die sich dann mehr und mehr verdichteten. So wurde Schritt für Schritt klar, was die Arbeit selbst bedarf und verlangt.

 
 

Ist das eure erste Kollaboration? 

XW: In der Tat. Die Idee, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, schwirrte schon eine Weile in unseren Köpfen herum, und schließlich hat sich die Gelegenheit ganz natürlich ergeben.

 
 

Wie ist die Auswahl der Werke zustande gekommen, wie sie jetzt präsentiert wird?

XW: Wir waren von Anfang an im Austausch darüber, was wir zeigen könnten, worauf wir Lust hätten, was bereits vorhanden ist und was wir für die Ausstellung fertig produziert haben werden. Aus diesen vielen Knotenpunkten hat sich dann leise ein größerer Knoten entwickelt, bis wir dann ganz intuitiv durch die Räume gehen konnten und ohne großes Zögern genau wussten, welche Arbeiten an welchen Stellen am besten passen.

 
 

Ihr arbeitet methodisch sehr unterschiedlich aber mit ähnlichen Themen. War es einfach, eure Arbeiten gemeinsam in einer Ausstellung zu denken?

RFD: Es ist nicht unsere erste gemeinsame Ausstellung. Wir haben unter anderem auch mehrmals gemeinsam in der Galerie Russi Klenner ausgestellt. So wussten wir schon von vornherein, dass unsere Arbeiten sehr gut miteinander harmonieren könnten.

 
 

Was beeindruckt euch am meistens an der Arbeit und der Arbeitsweise des jeweils Anderen? 

XW: Ich denke, dass in Raphaël's Arbeit eine revolutionäre Kraft steckt. Seine Ideen sind immer erfrischend, und sein Fachwissen zu bestimmten Materialien, von dem ich nichts weiß, fasziniert und beeindruckt mich. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich ein Gerüst sah, welches er in 3D gedruckt hatte. Ich war neugierig und fragte ihn, warum er das mache, und er sagte mir, dass es die stabilste Struktur sei, die je ein Computerprogramm erzeugt habe. Plötzlich erschien es mir wie eine neue Form von Natur. Ich schätze die technische Qualität seiner Arbeit sehr.

RFD: Mich beeindruckt am meisten, mit welcher Geduld und Hingabe Xuejing an ihr Werk herangeht. Dabei zeigt sich sowohl eine Ernsthaftigkeit wie auch eine Feinheit, die bei ihr in ganz besonderem Maße präsent sind. Es ist auch die Gabe, in einem alltäglichen Material, dass unendlich oft gesehen ist, das Besondere zu entdecken, und es anschließend auf überraschende Art und Weise für alle anderen sichtbar zu machen.

 
 

Xuejing, als ich deine Arbeiten sah, musste ich sehr an Christiane Löhr denken. Welche anderen Künstler:innen haben deine Arbeiten beeinflusst? Gibt es Traditionen, in die du dich stellst?

XW: Ich persönlich schätze die Arbeit von Christiane Löhr sehr. Ihre Werke sind poetisch und bestehen aus natürlichen Materialien, die zum Nachdenken anregen. Die wichtigsten Künstler/innen, die mich beeinflusst haben, sind Doris Salcedo und Constantin Brâncuşi. Es gibt eine Art geistige Zeitlosigkeit in all ihren Werken. In meiner Arbeit tendiere ich dazu, Einflüsse aus östlichen Religionen, Philosophien und Ästhetiken zu verarbeiten. Besonders der Buddhismus und meine Erfahrungen in China haben mich maßgeblich beeinflusst.

 
 
 
 
 
 
 

Deine Objekte strahlen eine große Zärtlichkeit in der Fertigung aus. Ganz so, als würdest du das Material als eigenes Subjekt begreifen. Stimmt das?

XW: Vielen Dank. Ja, das stimmt. Während meines Studiums in China verbrachte ich drei Jahre intensiv in der Materialwerkstatt, wodurch ich einen starken Fokus auf die Bedeutung von Materialien in meiner Arbeit entwickelte. Ich glaube, um meine ursprüngliche Absicht in einem Werk besser zu vermitteln, muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Material und Konzept erreicht werden. Für mich entfaltet sich der beste Effekt, wenn das Material das Konzept widerspiegelt und umgekehrt.

Deine Werke wirken sehr fragil und stehen damit beinahe im Gegensatz zu dem, was man traditionell mit dem Begriff der Bildhauerei assoziiert, nämlich große Steine, massiven Stahl und wuchtige Bronzen. Wie sehr begreifst du dich selbst als Bildhauerin?

XW: Ich arbeite mit Materialien, die zerbrechlich aussehen, aber in Wirklichkeit lange haltbar sind. Ich hoffe, die Antifragilität meiner Arbeit durch die Zerbrechlichkeit der Materialien zum Ausdruck zu bringen. Für mich sind die Materialien der Bildhauerei umfassend, denn es kommt nicht nur auf das Material an, sondern auch auf die Art und Weise, wie man es als Bildhauer betrachtet und denkt. Das Material dient als Medium, um beispielsweise die Wahrnehmung von Leichtigkeit und Schwere zu vermitteln. Diese Wahrnehmung hängt von der umfassenden Kombination aus Materialien und Konzepten ab. Stahl kann ein Gefühl von Leichtigkeit vermitteln, während eine Feder schwer sein kann. Ich wähle oft nicht bewusst bestimmte Materialien aus, sondern nutze alles, was mir im Leben begegnet. Ich betrachte mich als jemanden, der im Moment lebt und sich davon inspirieren lässt.

 

“Ich hoffe, die Antifragilität meiner Arbeit durch die Zerbrechlichkeit der Materialien zum Ausdruck zu bringen. Für mich sind die Materialien der Bildhauerei umfassend, denn es kommt nicht nur auf das Material an, sondern auch auf die Art und Weise, wie man es als Bildhauer betrachtet und denkt.”

 
 

Raphaël, deine Arbeiten kombinieren oft Natur und Technik. Fühlst du dich beiden Bereichen gleichermaßen hingezogen?

RFD: Technologie soll die Natur verbessern, oder ihre Probleme lösen. Dieser Wunsch und diese Hoffnung sind eine Hybris, die nicht nur uns Menschen zu Funktionären des Apparats verdammt – wie es Villem Flusser beschreibt – sondern auch etwas zutiefst Menschliches in uns zerstört. Wir schenken Technologie eine immer größere Präsenz und einen immer größer werdenden Einfluss auf unser Leben, und gleichzeitig macht sich ein Sehnen bemerkbar auf etwas, dass es schon lange nicht mehr gibt: unberührte Natur, und die Verbundenheit zu ihr. Unser jetziger Umgang mit beiden macht sie unvereinbar. Was wir dabei riskieren zu verlieren ist nicht nur ein Ökosystem, dass uns halten kann, sondern auch eine zutiefst menschliche Erfahrung. Das Gefühl von etwas, dass größer als man selbst ist, und dass unerklärt bleiben darf und muss.

 

“Technologie soll die Natur verbessern, oder ihre Probleme lösen. Dieser Wunsch und diese Hoffnung sind eine Hybris, die nicht nur uns Menschen zu Funktionären des Apparats verdammt – wie es Villem Flusser beschreibt – sondern auch etwas zutiefst Menschliches in uns zerstört.”

 
 

Der Titel der Ausstellung lautet Wake Up Before Dawn. Ist dies als Metapher zu lesen?

RFD: Der Titel war ein Vorschlag von Xuejing. Unser Wunsch war es, etwas zu präsentieren, das eine Verbindung zwischen unseren beiden Arbeiten herstellt. Diese Stimmung, die eine ganz besondere ist: Kurz bevor die Sonne aufgeht, wenn noch die ganze Welt schwer von der Nacht still und leise ist und sich bereits der aufkommende Tag zeichnet, dessen volle Explosion aber noch nicht stattgefunden hat. Es ist ein Moment, der nur kurz andauert und so schwanger ist voll Bedeutung und Andacht, einsam und fragil. Das war das Ziel, an dem wir beide für diese Ausstellung gearbeitet haben.

Inwieweit empfindest Du Deine Werke als politische, soziale oder ästhetische Kommentare?

RFD: Mir liegt viel an einem Gefühl des radikalen Widerstandes. Ungehorsam ist etwas Großartiges, etwas Unentbehrliches, wofür es sich lohnt gerade zu stehen. Das klingt nach Randale und Brandstiftung aber ich glaube, das muss man immer in einem Kontext verstehen. In unserer Gesellschaft würde ich argumentieren, dass es einen radikalen Akt des Widerstands darstellt, sich dem zu stellen, was es bedeutet, an einem Ort zu bleiben - sowohl physisch als auch metaphorisch. Dann beginnt man, im Kleinen tausend Wunder zu erkennen, die schon immer direkt vor der eigenen Nase lagen.

 
 

Du bist ausgebildeter Cellist. Wie groß ist der Einfluss der Musik in deinem Werk?

RFD: Unendlich groß! Musik funktioniert auf einer viszeralen Ebene, arbeitet mit Rhythmen, Bewegung, Dramaturgie. Diese Qualitäten und Syntax versuche ich ebenfalls in meinen Arbeiten anzuwenden, was teilweise sehr schwer ist. Eine Musikausbildung bedeutet auch und vor allem, ein Verständnis für Rigorosität, Disziplin und Technik zu entwickeln. Das erste und wichtigste als Musiker:in ist es, Tonleitern zu üben. Wer die Technik nicht beherrscht, kann nicht frei spielen. Das gleiche gilt auch in der Kunst. Ohne Technik – das heißt Handwerk – ist ein freies Schaffen nicht möglich und ohne Rigorosität und Disziplin, also ein tägliches intensives Üben, bleibt eine gewisse Tiefe unerreichbar. Ich erinnere mich an meinen Cello-Lehrer Marcel Bardon, der uns Schüler:innen immer davon erzählte, dass sein Professor ihn auf seine Fingermuskeln prüfte, indem er einen Zuckerwürfel auf den Tisch legte, welchen er mit dem kleinen Finger der linken Hand zerschmettern sollte. Wenn die Muskeln in der Hand dafür nicht stark genug waren, war auch die Fähigkeit, schwierige Stücke gut zu spielen, beeinträchtigt.

Wie groß ist der Einfluss eures jetzigen Kunst-Professors auf euer Werk?

XW: Wir haben das unglaubliche Glück, Karsten Konrad als unseren Professor zu haben. Der Einfluss wird sich auf viele verschiedene Arten und Weisen zeigen, nicht zuletzt in der Atmosphäre, die er für seine Klasse geschaffen hat, in der alles möglich ist und gemeinsam erreicht werden kann, in seinen guten Ratschlägen und auch in den pointierten Kommentaren, wenn sie angebracht sind. In einem Verständnis von Bildhauerei und Kunst, die von ihrem Sockel geholt wird, um etwas Greifbares zu werden. Auch in der Unterstützung, die er seinen Studierenden bietet, um ihnen die beste Zukunft zu ermöglichen, sowie in der Freiheit, die er jedem gewährt – auch uns –, sich dorthin zu entfalten, wo es gebraucht und gewünscht wird, anstatt in eine Ecke gedrängt zu werden.

RFD: An dieser Stelle wäre es unangebracht nicht auch Sinta Werner zu erwähnen. Unsere Gastdozentin, die in der Klasse stets präsent ist, uns antreibt, mehr und besser zu schaffen, ist ein großes Glück für uns. Ihre scharfsinnige und unterstützende Art bis ins kleinste Detail ist besonders wertvoll.

Ihr graduiert beide dieses Jahr an der UdK Berlin. Was wartet nach der Kunsthochschule auf euch? Was erwartet ihr vom Leben?

XW: Virginia Woolf hat einmal in ihrem Tagebuch geschrieben, dass die Zukunft dunkel ist, und das ist das Beste, was sie sein kann. Was uns erwartet, wissen wir nicht, aber wir hoffen darauf, dass es uns überraschen wird. Auf eine Sache können wir uns jetzt schon freuen: auf ein gemeinsames Atelier mit drei großartigen Kommiliton:innen.

 
 
 

Interview: Hilka Dirks
Fotos: Natascha Hamel