TIME OF WAR

Vlada Ralko + Volodymyr Budnikov


Eröffnung: 15 September, 19:00 pm

Dauer: 16 September — 2 Oktober 2021
Öffnungszeiten: Freitag – Sonntag, 13:00 – 18:00

 

Wie spricht man von dem Krieg da, wo es keinen gibt?

Kann man der Rhetorik der Kriegsopfer trauen?

Diese Fragen beschäftigen Vlada Ralko und Volodymyr Budnikov und sind ein roter Faden der Ausstellung.

Vlada Ralkos Installation Sonntagsessen (2020-2021) ist ein festlich gedeckter Tisch mit einem Set bedruckter Teller. Abgebildete Fragmente diverser Manifestationen der Körperlichkeit: Dynamische, leidenschaftliche baroсke Skulpturen des galizischen Bildhauers Johann Georg Pinsel, der zerfleischte Kadaver eines Hasen in der Küche, Fleischstücke in der Markthalle, in Stoff eingewickelt, wie das orthodoxe Epitaphios Christi; die Fotos aus Großmutters Kochbuch, deren Komposition und Farben an Caravaggio denken lassen.

Gemein ist ihnen allen die betonte Körperlichkeit, ihre extreme Plastizität und Verletzlichkeit.  “Der zerfleischte Hase mit gespreizten Beinen ist eine Metapher für die Gewalt, die dem passiven Opfer angetan wird”, sagt Vlada Ralko. “So war das in der Sowjetunion: die ohnehin passive Bevölkerung wurde den Repressalien ausgesetzt.”

Die Motive der Teller wirken wie Teile eines Mosaiks, unangenehm harmonisch und damit bezeichnend für die Stimmung der Ausstellung. Die gedeckten Farben der Installation sind (fast) die einzigen in der sonst schwarz-weißen Ausstellung.

Die großformatigen Arbeiten von Volodymyr Budnikov sprengen den Rahmen – ja, sie haben keinen. Dies verstärkt die beeindruckende Dynamik seiner abstrakten Werke mit hier und da aufpoppenden Figuren und dem tobenden Krieg. Die Große Landschaft fließt über Decke, Wand und den Boden. Das fast schon skulpturale Diptychon Relief erstreckt sich über den Boden der Galerie. Es ist gefühlt der Malerei-Serie Budnikovs Falten (2016) entsprungen, die den barocken Falten und Faltenwürfen (auch hier die Referenz zum Pinselstrich der Altmeister) gewidmet war. In seinem Buch Die Falte: Leibniz und der Barock interpretiert Deleuze die Welt als einen Körper aus unendlichen Falten, die sich durch komprimierte Zeit und Raum weben. Und so ist Relief mit seinen Falten, die die Bilder, Gedanken und Emotionen des Krieges verbergen und bloßstellen, eine Abbildung unserer heutigen Welt.

Die Zeichnungen aus Ralkos Lviv Diary und Budnikovs Time of War aus jeweils fortgeführten Serien, die mit dem Ausbruch des Vernichtungskriegs Russlands gegen die Ukraine anfingen, wirken wie Momentaufnahmen von Emotionen und Gedanken, manche klarer, manche abstrakter. Stets im Raum stehend die Frage nach der Möglichkeit eines Dialogs. “In Berlin wird überall gebaut, und bei uns wird überall zerstört. Und das passiert gleichzeitig", so Ralko. “Wenn wir durch das Pergamon Museum gehen und die Exponate anschauen, lese ich unten ‘Syrien’, ‘Irak’, ‘Kharkiw’ – und sehe überall den zerstörerischen Krieg”.

Wie können ukrainische Künstler:innen mit deutschen Betrachter:innen sprechen? Wie können sie den Krieg verständlich machen, die Erfahrung und den Schmerz teilen, ohne von der Reaktion ‘das ist nicht unser Krieg’ verletzt zu werden.

Die naheliegende Antwort ist Kunst. Kunst ist in der Lage, Emotionen festzuhalten. Kunst ist universell. Anders als Fakten, welche durch Gewöhnung an Bedeutung verlieren oder durch Abstraktion verdrängt werden, greift die Kunst auf eine tiefere Ebenen – und versucht so über die Emotion, die Empfindung des Krieges nachvollziehbar zu machen. Unabhängig davon, ob um einen herum alles gebaut, oder alles zerstört wird.

„Gerade im Krieg kämpfen die Menschen nicht nur um ihr Existenzrecht, sondern auch um jene moralischen Normen, auf deren Grundlage ihre Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit in kritischen Situationen kultiviert wird. Dies kann als menschlicher Instinkt bezeichnet werden, der nicht immer mit einem Selbsterhaltungstrieb einhergeht.“, so Ralko.

Die Angst vor dem Krieg und die Angst vor dem Tod sind unterschiedlich. Elie Wiesel, der seine Erfahrungen als Überlebender eines Konzentrationslagers detailliert beschrieb, sagte, dass nicht-menschliche Bedingungen allein einen Menschen nicht verändern, allein aus der Erfahrung von Gewalt lernt der Mensch nicht automatisch. Es hat den Anschein, als müssten die Menschen über ihre eigenen Anstrengungen berichten, als müssten sie kämpfen (manchmal im Angesicht tödlicher Gefahren), um sich selbst im menschlichen Zustand zu halten.

Das Werk der Künstler:in ist die einzige Sprache, die sich nicht in der Vielfalt der Interpretationen widerspiegelt. Das Werk der Künstler:in ist im Grunde eine Provokation, ein Verweis, der die üblichen Systeme außer Kraft setzt. Die Zeit des Krieges als Antwort auf die Herausforderung durch den Aggressor ist jetzt eine Zeit der menschlichen Intensivierung, eine Chance, nicht zu einem lebenden Flackern zu werden. Denn das Wesen der menschlichen Natur besteht darin, dass die Menschen trotz des Wissens um den Tod motiviert sind, zu leben und eine schöne Welt zu schaffen, in der, wie Heraklit sagt, "alles durch Kampf und durch Notwendigkeit existiert".


Text: Dr. Kateryna Rietz-Rakul