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Interview mit Ulrik Møller

A PERFECT CONE OF SNOW // 21 Feb - 8 Mar2020

Ulrik Møllers künstlerischer Kosmos spannt zwischen Heimat und Ferne. Das Reisen – oder vielmehr der Wunsch, auf Reisen zu gehen – ist Kernaspekt im Schaffen des 1962 auf der Insel Fünen geborenen Dänen. Getrieben von der eigenen Abenteuerlust kam der Maler nach einem Ingenieurstudium und künstlerischen Anfängen in Kopenhagen vor rund zwanzig Jahren nach Berlin. Inzwischen ist Møller für die Landschaftsbilder seiner dänischen Heimat bekannt, die oft den Meeresblick aus dem Fenster seines Elternhauses zeigen: In fast minimalistischen Szenen ist nichts dem Zufall überlassen – ohne Ablenkungen wird die Aufmerksamkeit auf das metaphorische Zentrum der Arbeiten gelenkt. 

Seit nun mehr als zehn Jahren widmet sich Møller aber nicht ausschließlich statischen, sondern auch bewegte Szenerien. Über eine Anfrage der bekannten dänischen Regisseurin Lone Scherfig fand er per Zufall seine Leidenschaft für den Film. Nach ersten Experimenten in dem ihm bis dato neuen Medium begann Møller schließlich, seine eigenen Filme zu realisieren. Die Aufnahmen hierfür fängt der Däne auf der ganzen Welt ein, bevor aus dem Rohmaterial im Schnitt schließlich poetische Filme entstehen.

Seine Filmessays, wie er selbst die Arbeiten nennt, führen seine künstlerische Praxis über die Malerei hinaus fort. Wie schon in seinen Bildern wird in den Filmen, die sich narrativ und visuell verschiedenster filmischer Genres bedienen, Spannung durch bewusst gewählte und reduzierte Ausschnitte erzeugt: Ob eine Bahnschranke im Morgengrauen, ein sich wiegendes Maisfeld oder eine schneebedeckte Bergkette – immer schweift der Blick in die Ferne. Über dieses wiederkehrende Motiv, den Sehnsuchtsort Shangri-La und seine erste reine Filmausstellung sprachen wir im Interview.

 

 
 

 
 

SMAC: Was ist für dich das Besondere an der Landschaftsmalerei?

Ulrik Møller: In der Landschaftsmalerei hat jedes Element eine Bedeutung und soll etwas ganz Bestimmtes transportieren. In Arnold Böcklins Toteninsel sind es beispielsweise Zypressen, die dem Bild etwas Sakrales geben. Es geht hier nicht um die bloße Darstellung der Natur – eine kluge Komposition lebt von der Inszenierung und ist auf das Wesentliche reduziert. Ich mache also genau das Gleiche wie ein Filmemacher oder Schriftsteller: Auch hier hat der Hintergrund eine unglaublich große Bedeutung für die Atmosphäre und Stimmung. Wenn diese Inszenierung im Gleichgewicht ist und aufgeht, wird der Betrachtende direkt auf die Kernaussage des Bildes gebracht.

 
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Im Film ist auf einmal die Zeit und auch der Zufall da
 

Wieso hast du dich – als jemand, der seine Bilder so fest im Griff hat – bewusst für das Filmmedium entschieden, in dem sich nie alle Aspekte der Komposition bewusst steuern lassen?

UM: Als ich vor etwa zehn Jahren mit Film angefangen habe, war das in gewisser Weise ein Befreiungsschlag für mich. In einem Bild kann man nur schwer mit Paradoxen arbeiten – es gibt eben immer nur die eine Szene. Zwar ist es möglich, beispielsweise mit Schrift einen Gegensatz zu erzeugen, aber in der Vermittlung selbst sind Paradoxe schwierig. Man muss vorab eine sehr konkrete Idee davon haben, in welche Richtung es gehen soll: Welche Stimmung soll erzeugt, mit welchen Farben gearbeitet werden? So vage er auch sein mag, der Rahmen ist bei der Malerei von Anfang an vorgegeben. Und dennoch bleibt die zugrundeliegende Aussage am Ende nur schwer greifbar. Wenn ich versuchen würde, sie festzuhalten, würde sie durch meine Hände hindurchfließen. Im Film kann ich diese unterbewusste Idee mit Hilfe von Schnitt und Montage greifen, was eine interessante Erfahrung für mich war. Auf einmal konnte ich improvisieren – etwas, das ich zuvor überhaupt nicht kannte.

Von deinen Bildern geht eine sehr tiefgründige Stille aus. Wie verändert sich diese Stimmung im Film, wo du zwar auch mit statischen Einstellungen arbeitest, es aber dennoch um Bewegungen geht?

UM: Im Film ist auf einmal die Zeit und auch der Zufall da – am Anfang hat mir das fast Angst gemacht. Manchmal macht einem der Zufall aber auch Geschenke und am Ende entsteht aus den Gegebenheiten ein komplett anderer Film. Ich gehe selten auf die Suche nach einem bestimmten Motiv, nur weil es sich gut in meinem Film oder meiner Dramaturgie machen würde, sondern mache einfach unheimlich viele Aufnahmen. Bei meinem Langfilm En Route, in dem die Kamera eine Autofahrt mitfilmt, gab es im Vorhinein lediglich die grobe Idee, thematisch auf eine Bildungsreise zu gehen. Anschließend schaue ich mir dann an, was das gesammelte Material hergibt und bringe zusammen, was zusammengehört. Für The Maize habe ich zwei Sequenzen miteinander kombiniert, die jeweils eine sehr hohe Symbolkraft haben: ein Maisfeld und der Apfelbaum im Garten meines Elternhauses. Am Ende war ich selbst erstaunt, in welche Richtung sich der Film entwickelt hat – im Schnitt war es plötzlich möglich, ein Element der Spannung zu erzeugen.

 
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Worin unterscheidet sich Bild- und Filmsprache für dich?

UM: Zum einen ist es auf jeden Fall diese Vielschichtigkeit, zum anderen die Möglichkeit, eine Geschichte auf andere Weise aufbauen zu können. Für die Entstehung eines Bildes muss man vielleicht drei Millionen winzige Entscheidungen fällen, aber dennoch bleibt es am Ende an einem ganz bestimmten Punkt. Im Film eröffnet sich hingegen eine ganz neue Welt. Ästhetisch und formal sind meine Arbeiten stark in der Filmgeschichte verortet – als Bildmacher ist mir vor allem der ästhetische Aspekt wichtig. Ich liebe es, zu gestalten – und das kann man in der Postproduktion durch Tools wie Colour Grading, Masken oder Lichtfilter viel umfassender als in der Malerei. Letztendlich geht es mir vor allem darum, Filmqualität zu erreichen – eine Welt, mit welcher der Zuschauer sehr vertraut ist und die er sofort versteht.

Ist ein Film nicht ein unheimlich stressiges Projekt, gerade weil so viele Entscheidungen getroffen werden müssen?

UM: Im Gegenteil – ich empfinde es als sehr schön, mich in diesen Zustand hinein zu begeben und den Film langsam aufbauen zu können. Mein Rohmaterial ist an sich ziemlich uninteressant – erst in der Nachbearbeitung, die ich abgesehen vom Sound komplett selbst übernehme, wird der Film zu dem, was er ist. Für mich ist das immer wieder ein riesiges Abenteuer, weil ich schon im Vorhinein weiß, wie viele Mittel und Möglichkeiten ich habe, die Richtung des jeweiligen Projekt zu beeinflussen. Außerdem ist es spannend, zu sehen, wie weit ich mit diesen Mitteln kommen kann – manchmal stoße ich dabei an meine Grenzen, oft bin ich aber selbst vom Resultat überrascht. Mein längerer Film En Route beginnt mit einem Zitat des Dokumentarfilmers und Autors Jørgen Leth, das auf Deutsch übersetzt in etwa folgende Aussage hat: “Wer mit offenen Augen durch die Welt geht – wer seine Umgebung genau wahrnimmt – für den ist jeder Schritt eine Entdeckungsreise.” Ich bin mit der Einstellung aufgewachsen, dass das nächste Abenteuer immer hinter der nächsten Ecke wartet. Meine Kindheit habe ich auf einer Insel direkt am Meer verbracht – ich hatte den Horizont also wortwörtlich immer direkt vor Augen. Für mich symbolisiert er nicht das Ende, sondern den Anfang der Welt – mit dieser Sehnsucht lebe ich schon immer und als eine solche Entdeckungsreise sehe ich auch meine Arbeit mit dem Film.

 

 
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Erst in der Nachbearbeitung, die ich abgesehen vom Sound komplett selbst übernehme, wird der Film zu dem, was er ist

Sehnsucht ist ein gutes Stichwort. In En Route geht es um ein Motiv, das vor allem in der klassischen Literatur von Goethe bis Schiller immer wieder thematisiert wurde – die Bildungsreise.

UM: Die Bildungsreise beschreibt, angefangen bei Goethe, das Erwachen des Bürgertums. Im 18. und 19. Jahrhundert war es für junge Männer aus gutem Haus üblich, für einige Monate ins Ausland zu gehen, um dort an sich selbst zu lernen und erwachsen zu werden. Meistens reisten sie in den Süden Europas – nach Frankreich, Spanien oder Italien. Es ging, auf ganz epische Weise, darum, die Welt zu entdecken: die Liebe, Drama, Mut. Nach diversen Prüfungen sollten sie als gestandene Persönlichkeiten in die Heimat zurückkehren und ihren Teil zur Gesellschaft beitragen. Ich finde den Begriff “Bildungsreise” sehr interessant – das hat etwas sehr Romantisches. Am Ende geht es aber einfach darum, sich selbst kennenzulernen und dass es da in jedem von uns eine tiefsitzende Sehnsucht gibt. In James Hiltons Roman Lost Horizon findet sich dieses Gefühl in “Shangri-La” wieder – ein fiktiver Ort in Tibet, an dem die Menschen in Frieden leben und der ewige Jugend wie auch absolute Gewissheit verspricht. Wenn man sich auf eine Reise begibt, mag diese mit einem bestimmten geografischen Ziel beginnen, im besten Fall führt sich am Ende aber zu einem selbst. So ist es auch in En Route – der Film beginnt mit einer Reise durch die Welt und endet mit einer mentalen, nie endenden Reise.

 
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Wenn man sich auf eine Reise begibt, mag diese mit einem bestimmten geografischen Ziel beginnen, im besten Fall führt sich am Ende aber zu einem selbst.

Du selbst bezeichnest deine Arbeiten als Filmessays. Welche Rolle spielt die Literatur für deine Arbeit und Themenfindung?

UM: Neben Lost Horizon ist sicher The Sun Also Rises von Ernest Hemingway ein Roman, der mich sehr beeinflusst hat. Hemingway sagt mir nicht generell zu, aber sein zweites Buch thematisiert den spanischen Stierkampf. Eine Gruppe Amerikaner reist nach Europa – zuerst nach Paris, später dann nach Pamplona. Die Natur spielt im Hintergrund eine sehr große Rolle: Im Buch wird beschrieben, wie die Fahrt durch die Landschaft selbst zum Nachdenken genutzt werden kann. Als ich den Roman zum ersten Mal gelesen habe, war das ein Schlüsselmoment für mich, denn es geht darum, dass man den Inhalt seines Lebens selbst gestaltet – also auch um diese innere Reise. Dieses Buch lese ich jeden Sommer. Mein Lieblingsschriftsteller ist aber aktuell der große Stilist James Salter – auch in seinen Geschichten geht es viel um die Komposition. In A Sport and a Pastime trifft der amerikanische Erzähler außerhalb von Paris, in Dijon, einen anderen Amerikaner, der eine junge Französin kennengelernt hat. Damals wurde das Buch als erotischer Roman bezeichnet und galt als ziemlich brisant, viel wichtiger sind mir aber die meisterhaften Beschreibungen der Landschaften, die mich sehr inspiriert haben. Und natürlich mag ich die Reiseberichte von Hans Christian Andersen, in denen er ebenfalls von Dänemark nach Italien reist.

 
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In der Ausstellung bei SMAC wirst du nur deine Filme zeigen. Sie heißt “A Perfect Cone of Snow” – was hat es mit dem Titel auf sich?

UM: Der Titel ist vom Mantra – von der Beschwörung – des Erzählers in meinem Film En Route abgeleitet. Es ist wieder ein Auszug aus James Hiltons Lost Horizon, in dem er den Berg von Shangri-La beschreibt: “...it was to the head of the valley that his eyes were led irresistibly, for there, soaring into the gap, and magnificent in the full shimmer of moonlight, appeared what he took to be the loveliest mountain on earth. It was an almost perfect cone of snow, simple in outline as if a child had drawn it, and impossible to classify as to size, height, or nearness. It was so radiant, so serenely poised, that he wondered for a moment if it were real at all.” Kurz zusammengefasst: ein ultimativer Sehnsuchtsort auf allen Ebenen.

 
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Interview: Hanna Komornitzyk
Photos:  Savannah van der Niet