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Interview mit Martin Groß

Die Stadt spricht eine Sprache und Martin Groß hört zu: der 32-jährige Künstler aus Sachsen liest die Zeichen seiner Zeit aus seiner unmittelbaren Umgebung ab. Mit einer hohen Sensibilität für das Hier und Jetzt, verarbeitet er Sinneswahrnehmungen des öffentlichen Raumes, der Straße und der U-Bahn, und übersetzt sie in horizontlose Zeichenwelten. Früher vor allem für seine virtuosen Bleistiftzeichnungen bekannt, adressiert Groß nun mittels multi-medialer Kompositionen sein pulsierende Leben im Herzen von London als Student der Royal Academy of Arts. Ein Gespräch über die Arbeit mit Geschwindigkeit.

 
 

 
 

SMAC: Martin, Deine Ausstellung “Television” im SMAC beinhaltet Bildschirme und Text, früher hast du vor allem mit Bleistiftzeichnungen gearbeitet. Wie kam es zu den neuen Elementen?

Martin Gross: Bevor ich 2014 nach London an die Royal Academy gegangen bin, habe ich eigentlich ausschließlich gezeichnet. Das waren meist großformatige Bleistiftzeichnungen, in denen Architektur eine zentrale Referenz war. Erst in London habe ich angefangen, über neue Regeln nachzudenken. Eine Zeit lang habe ich mich im Printmaking wiedergefunden und Holzschnitte gemacht, seit letztem Sommer bin ich aber wieder beim Zeichnen angekommen. Interessanterweise ist seitdem auch das Schreiben auf einmal total wichtig geworden. Ich verstehe mich nicht als Schriftsteller, vielmehr entwickle ich durch das Schreiben eine neue Art Bilder.

 
 


Indem Du beispielsweise den Text illustrierst?

Nicht ganz. Wie die Texte funktionieren oder wo sie herkommen, ist dem Zeichnen eigentlich sehr ähnlich. Damit meine ich die Idee von überlagerter Informationen, “cancellation and errors”, die Missverständnisse dazwischen – die Texte entstehen auf eine natürliche Weise im selben Prozess wie die Zeichnungen, entweder mit ihnen oder komplett losgelöst. Was jetzt auf den Scrolling Boards der Arbeit “Drunken Space” zu sehen sein wird, ist nicht wie ein Buch konzipiert, für mich sind das lediglich “Bilder-Mach-Elemente”.  Zwei von den Texten, die ich hier zeige werde, haben im weitesten Sinne mit Reisen zu tun: Der Gedanke vom sich verändernden Raum, von Geschwindigkeit. Ein anderer Text ist ein Transkript von einem Techno-Track, dazu kommen Fragmente aus News-Tickern. Also Cut-Ups, die in diesem Kontext ein ganz neues Narrativ ergeben.

Das heißt, du arbeitest nicht nur mit eigenen, sondern auch mit bereits vorhandenen Text-Fragmenten?

Genau. Die Texte wie auch die Zeichnungen sind Teil meiner subjektiven Wahrnehmung. Gleichzeitig sind sie für mich unglaublich gegenständliche Observationen von bestimmten Orten. Das Footage-Material kommt zum Beispiel von CCTV, Postkarten, oder Landkarten – repräsentative Dokumente, die ich verarbeite und die in den Zeichnungen durch Form und Schichtung nicht mehr klar zu erkennen sind. Dadurch entsteht eine gewisse Dichte, etwas horizontloses, auch der Gedanke von Orientierung spielt eine Rolle. Einer der Texte ist zum Beispiel unterwegs im öffentlichen Verkehr entstanden.

 

 
 
 

Woher kommt dein Interesse für Architektur, dass sich durch deine gesamte Arbeit zieht?

Ich glaube, das ging schon in Leipzig los, wo ich zuerst studiert habe. Ursprünglich wollte ich mal Architektur studieren, habe aber auch lange am Theater gearbeitet und ein Interesse für Bühnenbild entwickelt, was ebenfalls eine architektonische Komponente hat. Bei den Holzschnitten hatte ich anfangs versucht, diese Elemente komplett aus meiner Arbeit zu streichen. Irgendwann war ich aber wieder am selben Punkt. Ich finde das interessant: Wir glauben, dass Ideen so etwas progressives sind, am Ende hast du aber doch nur “limited headspace” und landest in Spiralen immer wieder dort, wo du schon mal warst. Dann denkst du dir: “Moment mal…”. Vielleicht war aber dann noch nicht alles gemacht.

 
 

Die Stadt und ihre Sprache bleibt also weiterhin ein zentrales Themen für dich. Finden sich auch Einflüsse deiner Heimatstadt Plauen (Sachsen) in deiner Arbeit wieder?

(lacht) Plauen… Das ist abgefahren: Meine Freundin war vor kurzem dort, sie hat wohl Orte gesehen, bei denen man meinen könnte, dass sie in meiner Arbeit eine Rolle spielen.

Inwiefern?

Das habe ich noch nicht ganz verstanden. (lacht) Auf jeden Fall könnten Plauen und London nicht kontrastreicher sein. Mit dem Schritt, nach London zu gehen, hat sich meine Arbeitsweise auf jeden Fall stark verändert. Ich glaube, vor allem die Geschwindigkeit hat darauf einen Einfluss gehabt.

Setzt dich die Geschwindigkeit auch unter Druck? Gerade in der Kunstwelt wird vieles digitaler und oft auch kurzlebiger…

Mag sein, dass eine gewisse Geschwindigkeit vom Markt vorgegeben wird. Eine Professionalisierung, bei der fast schon der Eindruck entsteht, man dürfe keine Fehler machen und keine Zeit verlieren. Aber an der Royal Academy bin ich in einer ziemlich luxuriösen Situation. Die Räume sind direkt am Picadilly Circus – Touristenströme und Shoppingmeilen – aber wir sitzen im Keller unter einem Museum und haben absoluten Frieden. Und wie es jedem Künstler so geht, haben wir auch andere Dinge am laufen, um am Ende des Monats die Miete zu zahlen. Ich glaube, allein das befreit uns ein wenig von diesem vorgegebenen Tempo. 

Geschwindigkeit an sich ist aber auch ein wichtiger Aspekt in meiner Arbeit.  Bei der großen, hier ausgestellten Zeichnung “Craig” bewege ich mich schneller als bei früheren Werken.

 
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Heißt das, dein Arbeitsprozess ist schneller, oder ist “Craig” vielleicht auch assoziativer als deine früheren Werke?

Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Für “Craig” habe ich mit Öl-Markern gearbeitet, die sehr schnell trocknen. Somit arbeite ich ganz anders als zum Beispiel bei den Holzschnitten. Gleichzeitig war das aber auch einer der Momente, wo ich nochmal anders über Text nachgedacht habe. Die Arbeit ist sehr gebaut, ziemlich kontrolliert. Trotzdem geht es mit dem Marker verhältnismäßig schneller, eine Idee festzuhalten oder eine Markierung zu machen. Für mich hat das etwas sehr unmittelbares, und ähnelt daher dem Schreiben.

Findet sich Dieser Ansatz auch in deiner Edition “Tunnel Lights” wieder? 

Die Edition ist sogar noch viel unmittelbarer. Hier arbeite ich mit einem eigenen Text, der unterwegs im öffentlichen Verkehr entstanden ist. Die Farben kennt man von den Anti-Graffiti-Mustern aus Bussen und Bahnen. Was die Zeitlichkeit angeht, ist diese Arbeit eine viel direktere und flottere Übersetzung meiner Überlegungen zum Verhältnis von Bild und Text. 

 
 
 
 

Was hat es mit dem Titel der Ausstellung, “Television”, auf sich?

Das ist ein großes Wort – ich glaube, der Titel lässt eher offen, wie die Dinge hier zu lesen sind. Für mich persönlich war die Ausstellung erstmals die Möglichkeit, jenen Arbeiten aus dem Atelier einen Rahmen zu geben, die meiner Meinung nach zusammengehören, die ich aber noch nie nebeneinander gezeigt habe. 

Hast du mit dem Zusammenspiel dieser verschiedenen Elemente eine Richtung gefunden, die sich gut anfühlt und mit der du weiterarbeiten wirst?

Ja, seit dem letzten Jahr an der Academy konnte ich mich ein bisschen öffnen. Ich war oft und verhältnismäßig schnell von einer gewissen Singularität in meiner Arbeitsweise oder in der Thematik frustriert. Es gibt noch so viele andere ungeklärte Dinge in meinem Atelier, aber die Öffnung war ein richtiger Schritt. Ob ich jetzt der Typ bin, der immer diese bunten Marker-Zeichnungen macht, das möchte ich so nicht sagen. Egal, woran ich arbeite: alles ist jetzt einfach Teil dieses “Bilder-Mach-Prozesses”. Ob das dann weiterhin in LED’s ausartet, sei jetzt erstmal so dahingestellt. 

 

 
 

Interview: Leonie Haenchen
Photos: Luke Johnson