Interview mit Olivia Berckemeyer + Thomas Zitzwitz
La Valse // 24. November – 10. Dezember 2023
SMAC: Habt ihr schon zusammen ausgestellt?
Olivia Berckemeyer: Ja, wir haben tatsächlich schon in einigen Ausstellungen gemeinsam ausgestellt, letztens zum Beispiel in einer Gruppenausstellung im SAC Bukarest, das wurde von Thomas und Alex Radu kuratiert und gerade auch bei „Individual-all around“ bei Garrison Command in Timisoara, Rumänien. In Bukarest hingen wir uns gegenüber. Das passte sehr gut, unsere Arbeiten sind sehr verschieden, nicht nur formal – abstrakt bzw. figurativ – sondern auch inhaltlich und funktionieren vielleicht auch deswegen sehr gut miteinander. Ich finde es sehr schön mit dem Thomas zusammen auszustellen. Wir treffen uns jedes Jahr zufällig beim Wandern. Dann stehen wir uns am Hang gegenüber und jetzt auch in der Ausstellung.
Thomas Zitzwitz: Schon oft! Neben den von Olivia genannten Ausstellungen und vielen mehr haben wir vielleicht zum ersten Mal 2006 in einer von Olivia in ihrem Projekt Schickeria entworfenen Ausstellung Glück auf ausgestellt. Hier wurden die Lieblingsbücher der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler gezeigt. Besonders gefielen mir immer die wunderbar ausgefallenen Ideen von Olivia!
Olivia, in einer raumgreifenden Installation zeigst du schwarze und weiße Schuhe aus Porzellan auf einer spiegelnden Tanzfläche. Was hat es mit der Arbeit auf sich?
OB: Die Arbeit entstand in Anlehnung an die Dance Diagrams von Andy Warhol. Sie zeigen schwarze und weiße Schuhe oder Schuhabdrücke, jeweils für links und rechts, die die Schrittfolge verschiedener Tänze angeben.
Und was sind das für Schuhe?
OB: Das sind Abgüsse, größtenteils aus den Atelierschuhen befreundeter Künstler:innen. Am Anfang habe ich nur Männer gefragt, da die größere Füße haben und das Porzellan um fast 30% schrumpft beim Brennen. Dann habe ich aber beschlossen, dass da auch eine lustige Schönheit drin liegt, dass die Künstler quasi wieder zu Kindern werden. Es sind allerdings auch Kinderschuhe dabei. Diese Stiefelchen da (zeigt auf ein paar unglaublich kleine Kinderstiefel), die gehören Horatio, dem Sohn von Gregor und Alicja. An Warhol angelehnt habe dann immer ein weißes, ein schwarzes und ein schwarz-weißes Paar gemacht, die quasi die Tanzschritte nachbilden, in der Installation im SMAC sieht man aber jeweils nur ein Paar, bis auf die Stiefel von Thomas (Zipp) und Lisa (Junghanß), die die Tanzschritte nachstellen.
Schuhe haben ja auch einen starken symbolischen Wert. Und eine Ansammlung leerer Schuhe kann natürlich auch leicht ins Unheimliche kippen, insbesondere hier und jetzt auch stark ein sehr deutsches Grauen evozieren …
OB: Zuerst hatte ich die Schuhe auf einem blanken Holzboden, aber so ging es nicht. Es sah nach Krieg aus, die Schuhe stellten automatisch Tote dar. Allerdings sollen die Schuhe sowohl den Geist, den Spirit der Person tragen als auch die Geste der Vergänglichkeit. Die Schuhe sind Hülle, insbesondere die Atelier-Schuhe, meine eigenen Atelier-Schuhe hab ich schon zehn Jahre. Die leben so dein Leben mit. Das sind Wegbegleiter und die stellen auch dein Leben dar, die Person. Die meisten tragen ihre Atelier-Schuhe ewig. Dirk Bells Schuhe zum Beispiel, die sind 20 Jahre alt, besonders schön daran ist, dass wir uns auch genauso lange kenne. Ganz ursprünglich war ich auch inspiriert von den Schuhen, die man so auf der Straße findet. Als ich mit Porzellan anfing, hatte ich erst die Idee, Müll von der Straße einzusammeln und in Porzellan nachzubilden als Allegorie der Wegwerfgesellschaft. Aber es hat in der Umsetzung nicht so gut funktioniert. Ich habe einen Kaffeebecher gemacht und ein paar andere Dinge, aber am Ende blieb ich an den Schuhen hängen, die gerade hier bei mir in Kreuzberg auch oft einzeln in den Straßen liegen.
Die High Heels sind doch wahrscheinlich keine Atelierschuhe oder?
OB: Nee, aber Lisa, deren Schuhe das sind, hatte früher immer Heels an. Es sind nicht dogmatisch nur Atelierschuhe. Aber die vorherigen Besitzer:innen sollten sich schon mit ihnen identifizieren. Es sind auch nicht alles Künstlerschuhe. Aber eben die meisten und das ergibt durch den Warhol-Bezug natürlich auch Sinn; Die Künstler tanzen zu lassen, mit ihren jeweiligen Ausdrucksformen mit denen wir alle auf der gleichen Tanzfläche ja auch um die Wette tanzen.
… Und ja auch ein bisschen nach Andy Warhols Pfeife tanzen, der ja auch oft synonym als Kommerzialisierungsmetapher verwendet wird.
OB: Ja genau, auch das ist eigentlich ganz passend.
Ist die Serie abgeschlossen?
OB: Ich weiß es noch nicht, ich kenne noch so viele. Aber erstmal ist sie an einem guten Punkt.
Sind deine eigenen und Thomas‘ Schuhe denn auch dabei?
OB: Ja, es gibt in der jetzigen Ausstellung auch ein Paar Schuhe von Thomas und mir. Ein farbiges Paar von Thomas steht unten an der Treppe, bei Thomas‘ Duftarbeit.
Thomas, wie war das, deine Atelierschuhe abzugeben und sie dann später als Objekte zu sehen? Es hat ja fast eine kindliche Magie für mich; die Vorstellung, dass diese Atelierschuhe sich quasi Jahrelang mit der Kunstpraxis ihres Trägers aufladen und dann – schwupps – verwandeln sie sich mit Olivias Hilfe selbst in Kunst.
TZ: Ich fand es vor allem interessant auch die Abgüsse der Atelierschuhe der anderen Künstlerinnen und Künstler zu sehen. Ich kenne viele von ihnen persönlich, und meist passt der Schuh im Stil zu ihnen selbst. Kurioserweise wurde ich vorher schon manchmal von Galeristen und Sammlerinnen gefragt, ob ich meine Atelierschuhe abgeben wollte, so voller Farbe waren sie. Glücklicherweise habe ich immer dankend abgelehnt. Nun habe ich zum ersten Mal meine Schuhe abgegeben, aber nur weil Olivia daraus etwas Neues und Poetisches erschaffen hat.
Du bist vor allem für deine Gemälde bekannt. Was hat es mit der Duftarbeit auf sich?
TZ: Für die von Peter Ungeheuer konzipierte Ausstellung La Valse möchte ich mit der Duftarbeit eine ganz bestimmte Atmosphäre schaffen. Als Kind war ich viel in der Oper, mein Großvater war Kammermusiker, und so gehörte dies zur Familientradition. Faszinierend fand ich neben der Musik auch die vielen verschiedenen schweren Parfums, die ich in den Rängen erfahren konnte. Diese spezielle magische Atmosphäre vor einer Aufführung, wenn der Vorhang noch geschlossen ist, die Stimmen und das Rascheln im Saal leiser werden und sich die Düfte des Publikums vermischen... so eine Atmosphäre möchte ich erschaffen.
Ist das die erste Arbeit dieser Art, die du gemacht hast?
TZ: Meine erste Arbeit mit Gerüchen konzipierte ich 1995 für die Ausstellung Multimediale 4 im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Damals ließ ich mir von Parfümeuren aus Paris die Düfte Lindenblüten, mittelalterliches Pech, Gummibärchen und Castoreum anfertigen. Ein Erfinder entwarf für mich Geruchsmaschinen, die diese Düfte verströmen konnten. Zu den Düften wurden Klänge gespielt, die ich auf meinen Reisen gesammelt hatte: Eine Unterhaltung zwischen einem alten Mann und einem Mädchen in einer Bar in Südfrankreich, der Sound eines Actionfilms in einem italienischen Provinzkino, Geräusche aus einer New Yorker Subway Station vermischt mit den Klängen eines Marimba-Spielers ... später arbeitete ich mit den Düften von Zuckerwatte, Straße nach dem Regen, angespitzten Bleistiften und Narzissen (um nur einige zu nennen) teils kombiniert mit Video oder als reine Duftinstallation. Zu diesen Arbeiten gab es jeweils ein von mir erfundenes Narrativ. Ein paar Mal vermischte ich auch die Sprayfarben für meine Gemälde mit dem Duft von Tuberose oder Angelika-Wurzeln. So verströmten meine Bilder ganz leicht einen Duft.
Diese spezielle magische Atmosphäre vor einer Aufführung, wenn der Vorhang noch geschlossen ist, die Stimmen und das Rascheln im Saal leiser werden und sich die Düfte des Publikums vermischen ... so eine Atmosphäre möchte ich erschaffen.
Was muss eintreten, dass ihr von einer Idee in die Umsetzung kommt?
OB: Das ist halt eine echte Entscheidung und auch echtes Schuften. Ich habe beispielsweise jetzt über 200 Schuhe gemacht. Und pro Schuh braucht man vier Tage. Alles muss vorher geplant werden. Da muss man einfach schon sehr überzeugt sein von der Arbeit.
Olivia, Du bist bekannt für deine Bronzen. Wie kamst du zum Porzellan?
OB: Eben weil ich schon so mit den Bronzen assoziiert werde sagte eine Freundin zu mir, ich solle doch mal ein neues Material ausprobieren. Ich dachte: warum nicht, sich auch mal wieder verändern? Ich modelliere eigentlich immer aus Wachs, das ist weich. Porzellan hingegen ist ein sehr hartes Material, welches mich schnell begeistert hat. Es ist zerbrechlich, aber auch unheimlich stark. Keramik ist nicht so mein Ding, die ist mir zu grob. Porzellan ist feiner und transluzent. Ich versuche es kontinuierlich
In der jetzigen Ausstellung findet sich auch eins deiner Bronze-Schiffe. Von denen hast du mehrere gemacht. Erzähl mal, wie kamst du zum Schiff als Motiv?
OB: Ich fing damals mit der Frozen Endurance an. Das war ja das Entdeckerschiff von Ernest Shackleton, das einfror und diese Geschichte, die ist so schön, weil Shackleton so darum kämpfte, dass er alle seine Leute heil wieder raus bekommt, und es auch schaffte. Er und die ganze Mannschaft mussten dann mitten im Nichts in ihren kleinen Bötchen zusehen, wie dieses riesige Schiff quasi vor ihren Augen zersprang. Es gibt davon sogar noch Filmaufnahmen, die sind über hundert Jahre alt, auf denen man sieht, wie alles gefroren ist und das Schiff zerfällt. Ich empfinde das als sehr bewegend, denn das Schiff war für die Crew ja auch das Haus und es hat sowas so extrem existenzielles, wenn das dann verloren geht und dabei sieht es trotzdem so toll aus. Ich habe dann auch noch ein U-Boot gemacht, was aus der Tiefe kommt. Bei den Arbeiten geht es also um Heimat und auch um dem Ausgesetzt-Sein, in der Welt und der Natur und dem Meer. Das erste Schiff entstand 2009, damals hatte ich auch eine Ausstellung bei KWADRAT GALERIE, Martin Kwade. Die waren damals noch aus Wachs und das erste – die Endurance – wurde gleich von Christian Boros gekauft.
Und die Reiterfiguren?
OB: Da geht es um Macht und um Schlacht. Der Napoleon ist auch eine sehr frühe Arbeit, Napoleon, der gerade durch das Brandenburger Tor einreitet und Husarengeneral von Zieten, Napoleons Widersacher. Es zeigt das Erobern und Zurückerobern. Es ist einerseits ein Reiterdenkmal, aber löst es sich auf; wie die Macht selbst. Es entstand in der Zeit, in der auch Saddam Hussein gefasst wurde und alle seine Bronze-Figuren gestürzt würden. Bronze ist für die Ewigkeit und meine Idee war, diese verlaufen zu lassen, sodass sie eben doch auch materialisierte Vergänglichkeit darstellt. In meinen Arbeiten geht es am Ende immer um das Vanitas Thema. Um Kommen und Vergehen. Das ist auch bei den Schuhen so. Die sind auch wie Ying und Yang, deshalb auch schwarz und weiß. Es sind zwei Teile, die ein Ganzes bilden.
Bei Shackleton ist es die Fürsorge, bei Warhol die Kommerzialisierung und das Reiterdenkmal ist ja noch eine ganz eigene gesellschaftlich-ästhetisch-historische Kategorie: Als wie politisch empfindest du deine Arbeiten?
OB: Also richtig politisch sind sie nicht. Aber ich möchte Nachhaltigkeit und rücksichtsvolleres Denken mit meiner Arbeit bewirken, vielleicht um dem grassierenden Egoismus etwas entgegenzusetzen.
Gibt es immer wieder auftauchende Motive oder Themen, die du über lange Zeiträume mit dir herumträgst?
OB: Ja, das Vanitas Thema in jedem Fall. Ich komme ja aus Nürnberg und da ist Dürer natürlich sehr wichtig – auch für mich.
Wer ist noch wichtig?
OB: Viele. Aber die Renaissance hat mich schon immer sehr begleitet. Ich war immer großer Fan der großen Meister. Zu Schulzeiten war ich im Kunstunterricht oft zum Zeichnen im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg.
Wenn ihr euch entscheiden müsstet: Prozess oder Projekt?
OB: Prozess. Bei mir entstehen die Formen aus dem Machen heraus.
Und Form oder Konzept?
OB: Form. Es beginnt alles mit einer Idee, einem Konzept, jedoch beim Modellieren entsteht die Form.
Interview: Hilka Dirks