Interview mit Michael Sailstorfer &
Thomas Kratz

HAUT KONTAKT // 27. April – 15. Mai 2022


Ein Keller, der nach Benzin riecht, eine riesige dunkle Maske, deren Atemzüge bis in die hintersten Ecken kriechen. Wir befinden uns in den Räumlichkeiten von SMAC, wo Michael Sailstorfer und Thomas Kratz ihre Ausstellung zeigen. 

Sailstorfer und Kratz verbindet nicht nur das Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München, sondern auch eine langjährige Freundschaft. Haut Kontakt ist die erste Ausstellung von Michael Sailstorfer und Thomas Kratz, in der sie ihr Schaffen in gemeinsamer Symbiose präsentieren. Beide Künstler fasziniert die Idee einer Membran, einer schützenden Oberfläche, die das Innen von Außen trennt. Es ist keine ideale Oberfläche, sie kann porös und verletzlich sein, die Unvollkommenheit erzeugt die Spannung.

In seinen Arbeiten verändert und erweitert Michael Sailstorfer die Sicht auf den Skulpturbegriff.
Er haucht leblosen Gegenständen neues Leben ein und verändert den natürlichen Lauf der Dinge. Zumal ergänzt auch die Natur als unbekannte Komponente das Ergebnis in seinem Schaffen und bewirkt eine unvorhergesehene Transformation seiner Kunstwerke.

Thomas Kratz’ Serie von Nudes oder Hautbildern (auf die Vorder- und Rückseite von Glas gemalte menschliche Hauttöne unterschiedlichster Farbhersteller) kreisen seine Gedanken um die Haut und der tieferen Bedeutung dieser menschlichen Oberfläche. Aber auch die Begrifflichkeit von Haut, die sich im Laufe der Zeit verändert. Die Interaktion mit den Arbeiten und Absorption vom Thema lässt er in sich verschmelzen und reist mit seinen Referenzen bis in die Renaissance.

Im Innenhof von SMAC sprachen wir bei frühlingshaftem Sonnenschein mit den beiden Künstlern.

 
 

 
 

SMAC: Thomas, wann weißt du, dass eine Arbeit fertig ist?

Thomas Kratz: (Lachen) Das ist immer ein großes Thema. Die Antwort darauf, wann meine Malerei fertig ist, habe ich mit meiner Serie der ‘Me Me Me’ Bilder 2003 begonnen zu beantworten, da war das Bild fertig, wenn etwas zurück gelächelt hat oder etwas zurückgeblickt hat. (Lachen) Die meisten Leute haben aber gar kein Lächeln gesehen. Aber als Maler spürst du das, wenn plötzlich von der Leinwand etwas antwortet. Ich glaube auch, dass ein Bild dann fertig ist, wenn es einem selbst fremd bleibt, ohne, dass man es ganz bis zum Ende er- und begründen muss. 


Ärgert dich das, wenn Leute das Lächeln nicht erkennen können?

TK: Nein, gar nicht. Es ist eher wie eine Programmierung in den Genen. Ein Urvertrauen, dass das Gesehene bestimmt. Mir ist das Zeichen wichtiger als die Geschichte. Auf ein Lächeln folgt ein Lächeln, das ist wie der richtige Schlüssel ins Schloss. Das präzise Zeichen, das ist wichtig.

 
 
 
 
 

Michael, deine Masken sind aus leblosen Gegenständen entstanden, zum Beispiel in einem ausgebautem Autotank. Doch bei dir hört man ihn atmen. Möchtest du leblosen Gegenständen Leben einhauchen und kommt daher die Idee, unterschiedliche Sinne anzusprechen? Macht Riechen und Hören Kunstwerke lebendiger?

Michael Sailstorfer: Ja, das ist total richtig. Man gibt Dingen, die leblos oder vorher eine andere Funktion hatten, ein neues Leben. Neue Geschichten werden erzählt. Ich habe bewusst einen Tank genommen, weil es ein Gefäß für energetischen Treibstoff ist. Ich fand es interessant, wenn der Tank mit etwas Neuem befüllt wird, mit etwas sehr Essentiellem für das Leben: der Atem. Es bekommt dadurch einen neuen Charakter, füllt den Raum und behauptet seine Präsenz.

Du arbeitest auch mit Gerüchen.

MS: Ja, auch in der Ausstellung ist der Geruch präsent. Es riecht immer noch nach Benzin, was in dem Keller super funktioniert. Das macht natürlich was mit dem Raum, vielleicht löst es auch klaustrophobische Empfindungen aus. Momentan arbeite ich an einem Duft. Das Parfum ist Teil der Serie „Tears“ und wird „Tears on Asphalt“ heissen. Hier wird das Gefühl von Traurigkeit über das Parfum ausgedehnt und wieder aufgelöst, sodass eigentlich was Schönes entsteht.

 
 
 
 
 
 

Wie kann ein Geruch traurig sein?

MS: Es hat sich ja aus der Tränenserie entwickelt, die mit Traurigkeit zu tun hat. Eine bittere, teerige Note, der Duft von Asphalt. Das ist die Herznote. Und dann liegt aber auch noch etwas Grünes und Frisches darüber. Gleichzeitig bitter und schön.

Was inspiriert euch noch zu euren Arbeiten? Sind es vordergründig persönliche Lebensereignisse aus eurem Inneren heraus oder geht ihr auf äußere Umstände, wie soziale und politische Ereignisse, ein?

TK: Das ‘Heute’ ist sehr politisch, speziell im Krieg hat man immer das Gefühl, dass man mit einer Art Dekadenz spielt, wenn man sich die Freiheit, die Zeit und den Raum nimmt, Antworten im eigenen Atelier zu suchen.

Die Kunst hat am Ende einfach mehr Kraft und mehr Möglichkeiten als Politik.

Wer kann jetzt noch nach Moskau fahren und Putin umarmen? Give him a big hug! Alles wird gut! Das kann wahrscheinlich nur die Kunst. Kunst ist auf ihre Art immer politisch.

MS: Ich glaube, man kann das nicht trennen. Es ist wie eine Art Membran. Du hast ein Innen und es gibt ein Außen. Man reagiert auf Dinge, die um einen herum passieren: Politik, Konflikte, Tagesgeschehen. Und das verschmilzt dann mit dem persönlichen Teil der Arbeit.

Michael, deine Arbeiten stehen oft auch im Einklang mit der Natur. In der Ausstellung sehen wir Äpfel, die über elektrische Impulse Ladung zwischen sich hin- und herschießen.

MS: Ja, Äpfel sind natürlich ein Sinnbild für die Natur. In dem Fall sogar die ursprünglichste Natur.

Die Liebe?

MS: Ja, die Liebe. Die Versuchung.

 
 
Ein Bild ist fertig, wenn du nicht mehr weißt, was du wegnehmen sollst.

Man kann die Natur zumal auch als deine Co-Autorin bezeichnen. Zum Beispiel hast du Masken in einem Bienenstock verarbeitet und sie dann dem natürlichen Prozess der Honigherstellung überlassen. Hat Kunst auch was mit Loslassen zu tun?

MS: Immer. Es ist immer ein Loslassen. Und dann können die Dinge entstehen.

Ähnlich ist es auch bei Arbeiten, die in der Ausstellung im Laufe der Zeit abgenutzt werden. Rechnest du dir vorher aus, was mit den Arbeiten passiert oder bist du für Überraschungen offen?

MS: Absolut, es kam oft zu einem Ergebnis, was ich nicht erwartet habe.

Kunst kommt von Machen und Dinge ausprobieren und manchmal die Dinge sich selbst überlassen. Es können neue Dinge entstehen aus dem Loslassen, die man niemals hätte planen können. Und darin liegt die Schönheit.

Wie sieht so ein Arbeitsprozess bei euch aus? Werden Ideen mit Worten notiert oder sind es Skizzen? Wie geht es dann weiter? 

MS: Ich notiere nie etwas in Worten. Bei mir ist es immer ein relativ klares Bild und daraus entsteht dann die Skizze. Es dauert, bis ich endgültig weiß, wie es funktioniert. Später wird es oft vereinfacht und abstrahiert. Und dann wird es ins Leben gerufen.

TK: Ich schreibe Notizen, fülle Skizzenbücher und manchmal diktiere ich aufs Handy, aber das funktioniert nicht. Bei mir entstehen die Dinge dann oft erst im Atelier, aus der Arbeit heraus. Von einem zum anderen. Das kann dann auch eine schmerzhafte Erfahrung sein. Ideen sind eher störend und müssen dann beleidigt das Atelier verlassen.

 
 
 
 
 
 

Michael, du hast ein Studio mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Thomas, auch du arbeitest projektbezogen mit Anderen zusammen. Könnt ihr eure Vorstellungen vor dem Entstehen eines Werkes gut nach außen kommunizieren?

MS: Bei mir funktioniert das gut, es fühlt sich natürlich an.

In dem Moment, wo du etwas deinem Gegenüber formulierst, wird dir das oft erst so richtig klar. Für mich ist das ein sehr bereichernder Prozess.

TK: Ja, wie Michael sagt, man merkt dann oft was überflüssig oder wie es sich vereinfacht lässt. Der Mensch ist ein Feedbacksystem, alles andere ist Folter. Jeder braucht mindestens einen Sparringspartner. Rückkopplung ist einfach gut, jemand der den Ball auch mal zurückspielt. Ich fühle mich in meinem Atelier manchmal etwas einsam (lacht), da wäre es schön, wenn es manchmal auch so umtriebig wäre, wie im Studio von Michael Sailstorfer.

 MS: Ja, ich genieße das schon sehr, nicht alleine zu sein.

Wie wichtig ist euch die Interaktion von Betrachterinnen und Betrachtern zu euren Kunstwerken? Und verändert der fremde Blick eure Arbeiten oder werden sie gar Teil einer Arbeit?

MS: Ich habe mir da sehr viele Gedanken drüber gemacht.

Ich denke den Betrachter immer mit. Er ist immer da. Ich weiß nicht, ob das was Gutes oder Schlechtes ist. Aber man macht die Kunstwerke nie nur für sich, sondern immer für ein Gegenüber. 

 TK: Ja, der Betrachter ist immer da. Ich habe auch viel mit Performance gearbeitet und da spürt man das Publikum noch mal anders. Bestimmte Erfahrungen kommen dann auch mit ins nächste Kunstwerk.Ein spürbarer Widerstand, das ist das lnteressanteste an der Arbeit.

 
 
 
 

Und denkt ihr den Ausstellungsraum mit? 

MS: Jede meiner Ausstellungen ist ortsspezifisch. Wir haben das Konzept für diesen Ort entwickelt. Es ist immer eine Verschmelzung aus den Dingen, an denen man momentan arbeitet und an der Ausstellungssituation. 

TK: Ja, das ist bei mir auch so. Wir kreieren hier im SMAC mit dem Raum und dem Besucher eine uns neue und einzigartige Situation.

Eure Ausstellung heißt Haut Kontakt und die Haut steht als symbolische Fläche zwischen der Welt und einem selbst. Was wird hier beschützt, was soll nicht nach draußen dringen?

TK: Die Malerei und damit die Oberfläche, die Haut, ist immer das Fenster zur Welt. Diese Grenze zwischen Innen und Außen finde ich interessant. In der Malerei der Renaissance legt immer der Meister die Haut auf, nachdem die Assistenten der Werkstatt vorab alle Figuren angelegt haben. In vielen Computerspielen müssen wir unsere Identität erstmal mit Häuten (skin) bestimmen. Michael und ich arbeiten beide mit Oberflächen und Grenzsituationen.

MS: Ja, es geht um die Membran, die dazwischen ist. Das Durchlässige, das manchmal härter und manchmal weicher ist. Meine Masken-Arbeiten sind auch eine Barriere zwischen Innen und Außen, eine Reflexion über das, was man von dem Gegenüber verbirgt.

Hautzeigen, Nacktsein geht mit sehr privaten Empfindungen einher. Was gibst du von dir preis, Thomas?

TK: Wenn man sich länger mit einem Thema beschäftigt, gibt man immer etwas preis. Noch mehr im Atelier, wenn man etwas entstehen lässt. Ich setze nichts voraus, ganz im Gegenteil. Ich finde es spannend an das Thema Haut instinktiv oder fast naiv heranzugehen.

Ich würde es als Belästigung empfinden, dem Betrachter etwas von mir erzählen zu wollen. Das Kunstwerk muss das für sich schaffen, sonst fände ich es komisch.

Deine Hautbilder entsprechen der „weißen“ Vorstellung von Haut. Wie definierst du den Begriff von Hautfarbe?

TK: Als ich mit dem Thema 2007 begonnen habe, ging es mehr um Verletzlichkeit und Erotik. Jetzt im Jahr 2022 ist es viel politischer geworden. Die Farbtöne sind sozusagen Ready Mades von den unterschiedlichen Farbherstellern. Seit wenigen, ca. zwei Jahren bieten sie die Hautfarbe unter den damaligen Bezeichnungen nicht mehr an. Das heißt, die Lesbarkeit des Kunstwerks, verändert sich im Laufe der Zeit, weil die Gesellschaft sich verändert. Das regt neue Themen an. Aktuell liest es sich mehr in Richtung Identität, und weniger in Richtung Erotik.

Welchen Dialog führen aber eure beiden Kunstwerke?

TK: Wir kennen und schätzen unsere Arbeit schon sehr lange. 

MS: Ja, wir kennen uns seit 20 Jahren. Wir haben beide in München studiert. Die meisten Arbeiten von mir zu Hause sind von Thomas. Es gibt viele Parallelen, die man sieht und spürt. 

TK: Auch hier in unserer Ausstellung im SMAC hat es schon fast was spielerisches. Ich finde die Vorstellung schön, wir jetzt nach Hause gehen und die Kunstwerke unserer Ausstellung ein Gespräch führen dürfen. Das funktioniert gut, sie haben viel zu bereden. 

Thomas, sammelst du auch Arbeiten von Michael?

TK: Ja! Ich habe eine große Deckenarbeit im Wohnzimmer und Michael hat meinem Sohn eine wunder schöne türkisene Arbeit geschenkt, die auch im Wohnzimmer steht.

MS: Stimmt, zur Geburt.

Beeinflussen euch eure Lehrer aus Studienzeiten in gegenwärtigen Arbeiten? Bei dir Michael, vielleicht Olaf Metzel oder bei dir Thomas, Günther Förg?

MS: Ich habe gestern erst mit jemandem über Olaf Metzel gesprochen und gesagt, dass er mich unglaublich geprägt hat. Es geht um die Energie der Dinge. Wenn jemand in Besprechungen zu viel erzählen wollte, meinte er: Stellt die Skulptur erst mal hin. Sie soll für sich funktionieren und dann unterhalten wir uns darüber. Ich habe auch Förg kennen und schätzen gelernt. 

 TK: Ich stimme Michael zu, bei mir ist es ähnlich. Das Extreme in Situationen war auch wichtig, die Kunst machen, dann die Arbeit überprüfen. Die Kunst muss ernstgenommen werden, aber bitte nicht der Künstler sich selbst. Lustigerweise sind Olaf Metzel und Günther Förg gute Freunde gewesen.

 
 
 

Interview: Olga Potschernina
Fotos: Sophie Döring