Interview mit Fritz Bornstück & Andrej Golder

Duodeetz // 11. November – 28. November 2021

Zwei die sich mit Abgründen auskennen: Fritz Bornstück und Andrej Golder. Beide freundeten sich im Studium an der UdK Berlin an und schätzen sich – arbeiten jedoch nicht direkt zusammen. Doch es gibt einiges, das sie verbindet: In ihrer Malerei vermischt sich eine gegenwärtige Finsternis mit popkulturellen Elementen. Bildwelten rund ums Thema Scheitern, Fehler und Dysfunktionalität zieht die beiden magisch an. 

Fritz Bornstück, der in der deutschen Kleinstadt Weilburg an der Lahn geboren ist, malt verlassene Gegenstände, die in seinen Bildern ein Eigenleben fern der Zivilisation entwickeln. Die Natur scheint hier Übermacht zu ergreifen: Pflanzen ranken ins Bild, Tiere finden ihren Weg zwischen kaputten Herdplatten und zersplitterten Computermonitoren. Es sind menschenleere Bilder, doch sie zeigen, dass die Welt, wie wir sie kennen, ohne Menschen und ihre Hinterlassenschaften nicht existierten.

Andrej Golder konzentriert sich auf Unvereinbarkeiten. Geprägt von kunstgeschichtlichen Einflüssen bricht er mit der Linearität des Zeitgeschehens und sucht nach scheinbaren Widersprüchen durch Epochen hindurch. Seine Bilder weisen oft monströse Charaktere auf, zersplittert in einem inszenierten Schlachtfeld aus Gliedmaßen und Farberuptionen. Golders künstlerische Welt speist sich auch aus den Brüchen in seinem Lebenslauf: Der Künstler ist in Jekaterinburg (Russland) geboren und lernte dort auf einer Sonderbegabtenschule malen und zeichnen. Vor mehr als 20 Jahren folgte dem Umzug nach Deutschland eine Phase des Zusammenpralls seiner bisherigen Ambitionen mit den westlichen Traditionen. Diese scheinbaren Widersprüche seiner Identität sind auch heute noch in seinen Arbeiten spürbar.

Wieviel Humor in solch düsteren Bildwelten steckt und wie man sich künstlerisch in diesen Welten zurechtfindet, haben wir bei einem Studiobesuch erfahren.

 
 

 
 

SMAC: Fritz, wir befinden uns heute in deinem Atelier, ein Ort, der aus unterschiedlichsten Fragmenten zusammengesetzt scheint. Wir sehen zahlreiche Bücher, einen Rollwagen übersät mit bunten Farbklecksen und offenen Tuben – ein Sammelsurium an Dingen, wie wir sie auch in Deiner Kunst wiederfinden. Dient dir die unmittelbare Umgebung Deines Arbeitsortes auch als Inspiration? Sind diese Örtlichkeiten austauschbar für dich?

Fritz Bornstück: Austauschbar ist nichts. Aber Inspiration gibt es überall. Ich arbeite an verschiedenen Orten. Ein Atelier ist auf dem Land, dieses mitten in der Stadt. Man merkt, dass die Umgebung immer Spuren hinterlässt. Wo immer ich langlaufe, sammele ich Dinge ein. Wichtige Fragmente kann man an allen möglichen Stellen finden, die sich dann in die Bilder einschleichen. So entstehen Wimmelbild-Ästhetiken.

Andrej, dein ehemaliges Studio liegt in einem Ateliergelände in Weißensee. Hier fand man sich zu außergewöhnlichen Ausstellungen wie NGORONGORO zusammen, feierte rauschende Feste und tauschte sich mit Akteuer*innen der Kunstszene aus. Wie wichtig ist dir ein solch zwischenmenschlicher Kontakt bei der Arbeit?

Andrej Golder: Ja, von diesem Austausch gab es in dem Studio sehr viel von. Das ganz Gelände und die Atmosphäre dort waren etwas rougher. Aber irgendwann ist das wirklich ausgeartet. Mit einem Weinchen rübergehen zum Kollegen abends. Das ist natürlich meistens lustig – vor allem wenn man gefrustet ist – aber auf die Dauer eher kontraproduktiv. Ich bevorzuge eher die Einsamkeit beim Arbeiten.

 
 
 
 
Wir sind beide Romantiker in der Malerei.
 

Eure Arbeiten scheinen beide eine düstere Seite des Lebens zu zeigen. Sind dunkle Abgründe euer verbindendes Element?

FB: Ich denke, den Abgrund kennen wir beide ganz gut. 

AG: Wir sind beide Romantiker in der Malerei.  

FB: Es gibt immer Momente von Natur „nehmen“. Bei dir, Andrej, ist das ja eher Splatter, bei mir ist es mehr Abfall und Müll. Dieser Trash auf der einen oder anderen Ebene hat etwas miteinander zu tun.

AG: Die Verbindung von klassischer Malerei mit popkulturellen Einflüssen. Das würde ich auch als Gemeinsamkeit empfinden. 

Andrej, Deine Bilder weisen kunstgeschichtliche Referenzen auf, gefiltert durch eine dunkle Brille der Düsternis und einer schamlosen Verletzlichkeit. Was ist Deine Inspiration und mit welchen Elementen arbeitest du noch?

AG: Ja, da ist tatsächlich sehr viel Kunstgeschichte drin. Ich bin in einem kunstgeschichtlichen Haushalt aufgewachsen. Mein Stiefvater war Kunsthistoriker und Künstler. Meine Mutter ebenfalls Kunsthistorikerin und Künstlerin. Daher habe ich schon von klein auf all das in mich aufgesaugt. Aber das ist ja eh im Leben so, dass man immer auf den Schultern von Giganten aufbaut. Überall ist Kunstgeschichte drin. Bei mir war das so, als ich angefangen habe zu studieren. Da war für mich interessant: Wie kriege ich Rubens und Baselitz zusammen? Es sind immer Unvereinbarkeiten, die mich interessieren. Sowas habe ich auch mit meiner Identitätskrise als Deutscher oder Russe. Deutsch bin ich nicht, aber für viele dann doch irgendwie. Für die Russen bin ich ein Deutscher. So ähnlich ist es in der Malerei. Und genau diese Momente, wo es dann nicht klappt, die finde ich interessant. Ich bin eigentlich eher am Scheitern interessiert.

 
 
 
 
 
 

Fritz, Deine Arbeiten sind auf den ersten Blick menschenleer, doch alles andere als seelenlos. Deine Salzstreuer rauchen und Tackernadeln tanzen im Wind. Hast du Menschen satt?

FB: Es ist schwierig den Menschen loszuwerden. Bei mir sind das vor allem Stellvertreter für Menschen, die anwesend sein könnten. Es ist spannender für mich, offen zu lassen, wer das jetzt genau ist. Es ist egal, ob der Mensch alt oder jung, dick oder dünn ist, ob er ein schwarzes, blaues, gelbes T-Shirt mit Aufschrift trägt. Es ist einfach die Person, die dir in den Kopf kommt, wenn du mit einem bestimmten Gegenstand konfrontiert wirst. Vielleicht siehst du da den gleichen Fernseher, den der Nachbar als Kind hatte. Ich denke, jeder bringt seine eigenen Leute mit und sie füllen die Leerstellen in den Bildern auf eine lebendige Art. Die Bilder hören, was im Kopf passiert.

In Deinen Bildern sehen wir viel zerstörte Elektronik: offen gelegte Tower-PCs, dessen Innereien nach außen gestülpt werden oder ausgediente Mikrowellen. Ist das ein wiederholendes Motiv bei dir?

FB: Verbindendes Motiv eher als wiederholendes. Irgendwer sagte mal: Das Stromnetz der Erde – ich würde es auf Europa reduzieren – hat keinen Anfang und kein Ende. Ich finde es einfach wahnsinnig toll, Kabel zu verlegen, das ist eine ganz ähnliche Technik wie ich es in den Bildern verwende. Und wenn man sich jetzt vorstellt, dass in einem Bild ein Kabel rein hängt, an dem ein alter Elektroherd angeschlossen ist, dann weiß man, dass das Kabel irgendwo außerhalb des Bildes an ein großes Kraftwerk angeschlossen ist. Dieses speist dann wieder ein Gerät aus einem anderen Bild.

Deine Bilder sind also außerhalb des Sichtbaren miteinander vernetzt?

FB: Man malt ja meistens gleichzeitig an mehreren Bildern und dann haben sie sowieso was miteinander zu tun. Aber auch über längere Zeiträume ist es so eine Art von größerer Landschaft, die porträtiert wird. Du machst Schnappschüsse ein und derselben Landschaft. Die Tageszeit verändert sich, man erfindet immer neue Gegenstände und neue Situationen. Es ist aber trotzdem die gleiche Expedition.

 
 
Ein Bild ist fertig, wenn du nicht mehr weißt, was du wegnehmen sollst.

Ihr habt beide an der Universität der Künste in Berlin studiert. Wie hat diese Zeit eure Kunst beeinflusst?

AG: Bei der Malerei ist es wie mit Musik. Man sollte schon so gut wie alles kennen, damit du dann improvisieren kannst. Anselm Reyle sagte mal in seiner Vorlesung: „Da wo man dich kritisiert, da gräbst du noch tiefer in der Kloschüssel. Da hast du irgendwas erwischt.“ Das war so ein Satz, der setzte sich bei mir im Kopf fest, das funktioniert tatsächlich. 

FB: Ich habe mich bei Leiko Ikemura vorgestellt und fand von Anfang an, dass sie einen sehr antiautoritären Stil hatte, wo es gar nicht darum ging, jemandem was beizubringen. Ich hatte das Gefühl, dass es eher vielmehr ein Anliegen war zu gucken, dass eine Person rausbekommen kann, wie sie sich selbst irgendwie entfalten kann. 

AG: Ich lernte auch die Sichtweise: Ein Bild ist fertig, wenn du nicht mehr weißt, was du wegnehmen sollst. Das finde ich ganz gut. 

Wie sehen eure Arbeitsschritte aus? Gibt es Momente, wo jemand den Zwischenstand einer Arbeit zu sehen bekommt oder arbeitet ihr isoliert von äußeren Einflüssen?

AG: Ich versuche das nicht zu zeigen, man kommt aber nicht umhin, dass irgendjemand mal ins Atelier kommt. Meine Arbeiten sehen bis zum letzten Moment grottig aus. Das schöne ist, dass man gar nicht merkt, dass man arbeitet. Irgendwann kramst du die Arbeit raus und auf einmal – nach dem dritten, fünften Mal – ist es fertig. So geht’s mir oft mit Ausstellungen, dann frage ich mich: Wann habe ich das jetzt gemacht? 

FB: Ich male zunächst relativ dunkle und dicke Farbschichten. Die sieht man dann manchmal durch und stellenweise kratze oder schleife ich sie wieder frei. Meine Bilder wachsen lange Zeit organisch. Häufig stehen die auch einfach nur rum und warten darauf, dass ich wieder was mache. 

AG: Ja, genau. Man merkt den Bildern solche Prozesse an, die sind dann nicht so gequält. Wobei auch ein gequältes Bild interessant sein kann, aber nur wenn es eine bewusste Entscheidung ist. 

 
 
 
 
 
 

Wie fühlt sich das an, wenn jemand anderes eine Meinung zu euren Bildern äußert? Interessieren euch diese Stimmen?

AG: Dass jemand einen Haufen Geld in die Hand nimmt, um das Ding zu kaufen, das ist ja schon ein emotionaler Beweis. Auf Vernissagen finde ich das aber immer ganz fürchterlich, wenn Leute irgendwas zu mir sagen. Wenn ein Bild fertig ist, dann habe ich damit nichts mehr zu tun. Das ist nicht mehr meins, das kriegt sein eigenes Leben. Ich will dir ja nicht das Erlebnis nehmen, etwas selbst zu entdecken.

FB: Ich finde es total faszinierend, wenn Kinder in meine Ausstellung kommen und so ein Bild wahrnehmen. Sie stehen dann davor und fangen an, die Bilder so zu lesen, wie sie vielleicht auch ein Kinderbuch lesen würden und sind völlig unvoreingenommen. Sie suchen etwas und gehen da sehr lebendig ran. Mich interessiert nicht so das Gespräch, ich beobachte die Emotionen der Leute. Gehen sie zum Beispiel nah ran oder bleiben sie weiter weg davor stehen. Ich merke, dass viele Leute Angst vor Kunst haben.


Wie findet ihr Titel für eure Ausstellungen und Arbeiten?

FB: Die Titel sind ähnliche Findungsprozesse wie die Bilder auch. Bei mir sind häufig fünf bis sechs Sätze im Kopf, in denen sich das Bild generiert. Am Ende bleibt meistens dann ein Satz stehen oder, wenn ich Glück habe, sogar nur noch ein oder zwei Worte. Ich finde Plastik ganz geil als Material, was man in den Bildern auch in den alten Rechnern und Dosen sieht. Diese Art von Mülligkeit, die eine schäbige Materialität nachempfindet und dazu Assoziationen trägt. Und ich glaube Titel machen das genauso. 

AG: Meine Titel sind häufig einfach nur dazu gedacht, den Betrachter in die Irre zu führen und ein bisschen Humor reinzubringen. Und manchmal verweisen sie auch auf meine Inspirationen, die meistens aus der Literatur kommen. 

 
 
 
 

Wie sieht eure Maltechnik aus, wie entstehen eure Kunstwerke? 

FB: Bei mir passt sich die Maltechnik dem an, was im Bild passiert. Als wir uns das letzte Mal hier getroffen haben, gab es Bilder mit viel Collage-Elementen. Mittlerweile ist es viel mehr Lasurmalerei in den oberen Schichten, aber sehr viel dicke Malereien in den Unterschichten. 

AG: Klar, es gibt Pinsel und Farben, aber ich habe auch viel mit Händen oder mit Lappen gearbeitet. Eigentlich mit allem, was man so findet. Es gibt auch eine ganze Reihe an Bildern, die ich nur mit Staub erstellt habe, da war dann ein Staubsauger und ein Wischlappen im Einsatz.

Wo hast du den Staub herbekommen?

AG: Zuerst habe ich tatsächlich Staub aus dem Staubsauger ausprobiert, aber das ist fürchterlich daneben gegangen. Tatsächlich besteht Hausstaub zu 70 Prozent aus alten Hautschuppen, die extrem fettig sind und in der Arbeit schmieren. Später habe ich auf dem Ateliergelände in Weißensee gefegt und gemerkt: Dieser Staub ist perfekt. Eine Mischung aus Backstein und Beton. Das lieferte mir ein warmes Grau. 

FB: Es gibt dann Leute, die sind gegen deine Bilder allergisch.

AG: Nee, da kommt Lack drüber und dann passiert nichts.

FB: Ich rieche das auch gar nicht mehr, weil ich die ganze Zeit in diesen Räumen bin. Du wirst geruchsblind. Da ich länger nicht mehr mit Terpentin gearbeitet habe, rieche ich das aber wieder. Ich denke dann immer an die gute alte Zeit. An die Kopfschmerzen in der Uni, eine Kombination von studentischem Kater und Terpentin.

AG: Übelkeit ist auch eine ganz gute Inspirationsquelle für Bilder. Nicht eine Übelkeit währenddessen, aber diese Stimmung, die du hast. 

Ist es denn eine Stimmung, in die du dich erst mal hineinfinden musst? 

AG: Nein, nein, das muss ich eigentlich eher durchgehend unterdrücken. Gott sei Dank gibt es dann manchmal Kuchen und angenehme Gesprächspartner.

 
 
 

Interview: Olga Potschernina
Fotos: Stephanie Neumann